Rückblick auf 100 Jahre Geschichte: Das Team der Geschäftsstelle Schierbrok am 23. Novemver 2020.

 

 

100 Jahre Genossenschaftsbank Schierbrok

Nachdem die Geschichte der Genossenschaftsbanken Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte, hielt diese Idee vor gut 100 Jahren auch Einzug ins Pfarrhaus der Kirchengemeinde in Schönemoor: Hier wurde am 23. November 1920 die spätere Raiffeisen-Bank Schierbrok als Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Schönemoor gegründet.

Besonders Handwerker, Bauern und kleine Unternehmen hatten bis dahin keinen Zugang zu den damals existierenden Banken und waren in der Regel auf private Geldverleiher angewiesen. Die Beschaffung des notwendigen Betriebskapitals wurde vielfach zur Lebensfrage, nicht zuletzt da sich Bauern dabei häufig verschuldeten und ihre wirtschaftliche Existenz verloren. Fast zeitgleich, aber doch unabhängig voneinander entwickelten Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch eine Idee, um eben diesen Missständen zu begegnen. Ihre Idee: Hilfe zur Selbsthilfe. Das hieß auch Unabhängigkeit vom Zufall, mit einer Spende bedacht zu werden, von der Gunst der Philanthropen, Abkehr von den undurchsichtigen Geschäften der Geldverleiher. Selbsthilfe durch freiwillige Kooperation lautete die Lösung – getreu dem Motto „Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele“. Die Kredit- bzw. Darlehenskassenvereine sind die Wurzeln der heutigen Volks- und Raiffeisenbanken.

Die ersten Jahre nach der Gründung: Inflation und Agrarkrise

Zu den ersten Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der Spar- und Darlehnskasse zählten vor allem Landwirte. Zum Vorstandsvorsitzenden wählten die Mitglieder den Verwaltungsfachmann Friedrich Wichmann, zum Rendanten (Geschäftsführer) Friedrich Huntemann, Gemeinderechnungsführer aus Schönemoor. Komplettiert wurde der Vorstand von Landwirt Friedrich Nullmeyer. Durchaus besonders war, dass man einen kaufmännisch vorgebildeten Rendanten finden konnte und zudem einen Verwaltungsfachmann im Vorstand hatte. Aufsichtsratsvorsitzender wurde Dietrich Kämena, der das Amt 37 Jahre lang ausübte.

In den ersten beiden Jahren diente ein Raum in der Pastorei in Schönemoor als Geschäftszimmer. 1922 wurde das Haus des Rendanten Huntemann in der Schönemoorer Dorfstraße in unmittelbarer Nähe der Schule fertiggestellt und die Geschäftsräume wurden dorthin verlegt. Zur Unterstützung des Rendanten wurde 1928 Frieda Lindemann angestellt.

Wie bei allen anderen Banken liefen auch der neu gegründeten Spar- und Darlehnskasse während der Inflation 1923 „die Zahlen buchstäblich aus den Büchern“. Die Abrechnungen, Zins- und Provisionsberechnungen waren aufwendig. Eine zügige Erholung der ländlichen Kreditgenossenschaften wurde durch eine Agrarkrise zusätzlich erschwert. Mit der Wirtschaftskrise 1929/31 mussten viele Genossenschaftsbanken die Reichsgenossenschaftshilfe in Anspruch nehmen.
1930er Jahre: Erster hauptamtlicher Rendant und Erweiterung der Produktpalette

Seit den 1930er Jahren wurde die Produktpalette dann erheblich ausgebaut. Im Herbst 1933 unterschrieb die Genossenschaft einen Kooperationsvertrag mit der Regno-Raiffeisen-Versicherungsgesellschaft (später R+V-Versicherung). Damit konnte die Genossenschaftsbank ihren Kunden nun auch in Versicherungsfragen weiterhelfen, und der erste Stein für das spätere Allfinanz-Dienstleistungsunternehmen war gelegt. Im Juli des gleichen Jahres hatte die Kreditgenossenschaft den Bankkaufmann Wilhelm Meyer eingestellt. Er war erstmals als hauptamtlicher Rendant für die Geschäftsführung der Bank verantwortlich.

1936 wurde der Sitz der Genossenschaft nach Schierbrok verlegt und die Firmierung entsprechend geändert: Spar- und Dahrlehnskasse eGmuH zu Schierbrok. Mit dem Umzug erhoffte man sich bessere Wachstumsmöglichkeiten für die Genossenschaft, da die Infrastruktur in Schierbrok bereits weiterentwickelt als in Schönemoor war. Neben einer Bahnstation und diversen Geschäften war hier auch eine landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft ansässig. Vom neuen Standort aus erweiterte die Genossenschaft ihr Einzugsgebiet auf Schierbrok, Stenum, Rethorn, Elmeloh und Hoykenkamp.

1939 wurde Wilhelm Meyer zum Kriegsdienst eingezogen und Frieda Lindemann übernahm vertretungsweise die Geschäftsführung. Neben „bankfachlichem Können“ war auch „erhebliches Improvisationstalent“ gefragt.

1944 wurde das Wohnhaus der Familie Meyer von einer Fliegerbombe getroffen und schwer beschädigt. Auch die Räumlichkeiten, die die Bank im Hause der Familie nutzte, wurden in Mitleidenschaft gezogen. Dank schneller Ausbesserung der Schäden konnte der Bankbetrieb zeitnah weiterlaufen. 1944 erhielt die Spar- und Darlehnskasse einen neuen Namen: Raiffeisen-Kasse Schierbrok eGmbH.

Die Entwicklung der Bank nach 1945

Seit jeher war ein hoher Anteil der Schierbroker Einwohner in der Landwirtschaft beschäftigt, so auch noch Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre. Im Jahr 1948 lebten 60 Prozent der Mitglieder der Raiffeisen-Kasse von der Landwirtschaft, 78 von 130 Mitgliedern wurden als Landwirt/Bauer in den Mitgliederlisten geführt.

In den 1950er Jahren veränderte sich die Mitgliederstruktur zügig. 1954 war der Anteil der Beamten, Angestellten und Arbeiter erstmals höher als der der Landwirte. „Bank für Jedermann“ war damit nicht mehr bloß ein Werbeslogan.
Traditionell war die Bank eine Bank, die vor allem Kredite an Landwirte und Gewerbetreibende vergab. Das änderte sich jetzt. Auch Schierbrok profitierte vom gesamtwirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre. In den folgenden Jahren wurde das Privatkundengeschäft immer wichtiger. Vor allem auch die Umstellung, dass Löhne nicht weiter per Lohntüte ausgezahlt, sondern auf ein Gehaltskonto überwiesen wurden, veränderte seit Ende der 1950er Jahre spürbar die Aufgaben der Bank und den Anteil von Firmenkunden- und Privatkundengeschäft.

Für die weitere Entwicklung der Bank war u. a. der Kooperationsvertrag mit der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG 1952 wichtig. Durch die Einführung der staatlichen Wohnungsbau-Prämie wurde Bausparen zunehmend attraktiver. Ziel war die Spartätigkeit zu fördern und auch Familien mit kleinem und mittlerem Einkommen den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern.

Um bei steigenden Löhnen den Spargedanken zu stärken, führte die Bank 1952 das Gewinnsparen sowie das Schul- und Gemeinschaftssparen ein, das bei der Raiffeisen-Kasse eine große Rolle spielte.

In dieser Zeit nahm im Aktivgeschäft die Nachfrage nach Konsumentenkrediten erheblich zu. Für die Raiffeisen-Kasse entstand mit dem Zuzug neuer Einwohner auch neue Nachfrage. Vor allem die vielen heimatvertriebenen Menschen aus den Ostgebieten benötigten kleine Kredite zur Anschaffung z. B. von Möbeln. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges waren insbesondere die Orte Heide I und Heide II beliebte Zuzugsgebiete, so dass die Bank am 1. August 1959 im Rosenweg in Heide II eine neue Geschäftsstelle eröffnete. 1955 hatte man das Haus an der Bahnhofstraße, wo die Bank ihre Räume hatte, erweitert und vollständig modernisiert.

1960er und 1970er Jahre: Wachstum und Modernisierung

Seit 1965 kooperierte die Bank mit der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank (heute DZ HYP), der Immobilienbank der genossenschaftlichen FinanzGruppe für das gewerbliche Immobilienkreditgeschäft.
Die erweiterte Produktpalette und die Zunahme der Mitgliederzahlen führten zu einem erheblich höheren Organisationsaufwand. Zur Unterstützung des Bankbetriebs wurde 1966 das erste EDV-System eingeführt und die Vertriebsstrukturen überarbeitet.

1968 erwarb die Bank ein Grundstück an der Schönemoorer Landstraße nahe der Grenze zu Delmenhorst. Hier entstand ein bankeigener Neubau. Am 27. Juni 1969 nahm die Bank den Geschäftsbetrieb in den neuen Räumlichkeiten auf. Wegen der Nähe zum Delmenhorster Stadtgebiet dehnte man – per Satzungsänderung – in diesem Zuge das Geschäftsgebiet auf den Stadtteil Deichhäuser Heide aus.

1969 gründeten aktienbegeisterte Mitglieder mit Unterstützung seitens der Bank den „Investmentclub Schierbrok“. Die Mitglieder trafen sich einmal pro Monat, um Wirtschaftsfragen und Erfahrungen mit Aktieninvestments zu diskutieren. 1995 hatte der Club 30 Mitglieder.

Anfang der 1970er Jahre nahm die Nachfrage nach Bauplätzen in Schierbrok nochmals zu. Viele Finanzierungsanfragen musste die Bank zunächst absagen. Hier half der Aufbau einer Immobilienabteilung, die sich um die Anfragen kümmerte und deren Team nochmals neue Kundenkreise erschließen konnte. Insbesondere der Service „Komplett-Finanzierung aus einer Hand“ machte das Angebot der Bank attraktiv.

Wilhelm Meyer, der seit 1933 hauptamtlich die Geschäfte der Bank geführt hatte, schied 1973 altersbedingt aus. Im gleichen Jahr wurde der Neubau in Schierbrok (Bahnhofstraße), nicht unweit der alten Hauptstelle, fertiggestellt. Das Gebäude wurde nach damals „modernsten Gesichtspunkten“ eingerichtet: Es gab Schließfächer für Kontoauszüge, Schließfächer für Sparbücher, einen Safe für die Wertsachenverwahrung und einen Spätschalter, an dem Kunden auch außerhalb der Öffnungszeiten Ein- und Auszahlungen vornehmen konnten.

1973 öffnete die Bank zudem eine weitere Geschäftsstelle in Hoykenkamp. Hier hatten sich wegen der guten Infrastruktur viele neue Unternehmen angesiedelt und die Einwohnerzahl war deutlich gestiegen. Zwei Mitarbeiter kümmerten sich in der Nutzhorner Straße um die Kunden. Auch diese Räume wurden bald zu klein. 1981 bezog die Filiale die neuen Geschäftsräume an der Schierbroker Straße 13 (Hoykenkamp).

1980er Jahre bis heute: Entwicklung zur Volksbank Delmenhorst Schierbrok

1980 fusionierte die Bank mit der Spar- und Darlehnskasse Hasbergen (gegründet 1925). Die beiden Bankstellen Neuendeel und Heidkrug wurden nach der Fusion unter der bisherigen Firmierung weitergeführt. Mit der Fusion ergaben sich für die Raiffeisen-Bank Schierbrok eG vor allem im Norden und im Nordosten des Delmenhorster Stadtgebietes neue Wachstumschancen.

Der Wettbewerbsdruck für die deutschen Genossenschaftsbanken nahm in den 1980er Jahren immer mehr zu. Neue Konkurrenz entstand auch durch das Directbanking. Infolge von Technisierung und Automatisierung wurden auch die Volksbanken und Raiffeisenbanken von einem tiefgreifenden Strukturwandel erfasst, der sich in einer starken Konzentration widerspiegelte. Allein von 1991 bis 2000 sank die Zahl deutscher Genossenschaftsbanken um 43 Prozent.

Die Raiffeisen-Bank stattete ab 1992 alle Geschäftsstellen mit Geldautomaten und Kontoauszugdruckern aus. Auch die Innenarchitektur der Banken veränderte sich. Tresen mit Glasscheiben wurden durch eine offenere Innenausstattung abgelöst. 1994 wurde die Bank überfallen: Mit einem gestohlenen Radlader durchbrachen Diebe die Außenwand einer für den Hauptstellen-Umbau genutzten Filiale und transportierten den 800 kg schweren Geldautomaten über die Felder ab.

Die Bank engagiert sich seit jeher vielfältig für die Menschen in ihrem Geschäftsgebiet: Zum Beispiel durch Ausstellungen von Künstlern und Sammlern in der Schalterhalle oder Veranstaltungen, wie das Schierbroker Sommerfest, aber auch über Spenden an Grundschulen, Vereine und Kirchengemeinden. Hierzu zählte auch die Renovierung des historischen Kirchturms in Schönemoor.

Im Rahmen der internationalen Jugendwettbewerbe der Genossenschaftsbanken wurden jedes Jahr zahlreiche Bilder von Kindern, Jugendlichen und Schulklassen eingereicht. Die besten Bilder wurden ausgezeichnet, immer mit begehrten Preisen: mal mit einem „Walkman“, mal mit einem Fahrrad.

Das Jahr 2000 war maßgeblich geprägt von der Verschmelzung der Volksbank Delmenhorst eG (gegründet 1904) und der Raiffeisen-Bank Schierbrok eG zur Raiffeisen-Volksbank Delmenhorst-Schierbrok eG. Der neue Vorstand bestand aus den beiden Delmenhorster Vorstandsmitgliedern Alfred Collmann und Martin Versemann sowie aus den Schierbroker Vorstandsmitgliedern Fritz Gillerke und Waldemar Manthei.
Innerhalb weniger Jahre nahm die Nutzung der EC-Karte (girocard) erheblich zu und durch Mobile-Banking wurden die Kunden unabhängig von den Öffnungszeiten der Geschäftsstellen. Am 1. Januar 2002 wurde der Euro als Bargeld eingeführt.

Besondere Auswirkungen auf das Bankgeschäft hat seit einigen Jahren die EU-Gesetzgebung. Insbesondere nach der Finanzkrise 2007/2008 kamen neue Gesetze und Verordnungen hinzu, die den administrativen Aufwand beeinflussen.
Die Digitalisierung im Bankensektor schreitet dynamisch voran und etabliert völlig neue Arten des Bankgeschäftes. Beratungsgespräche finden seltener statt und die persönlichen Kontakte werden weniger. Gleichzeitig wächst in einer komplexer werdenden Welt der Wunsch nach Überschaubarkeit und Zuverlässigkeit.

Die Genossenschaftsidee wurde 2016 von der UNESCO in die Liste des „Immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ aufgenommen. Zur Identität gehört das Bewusstsein der eigenen Geschichte: Verantwortung, Solidarität, Glaubwürdigkeit und Partnerschaftlichkeit stehen für die Genossenschaftsbank weiterhin an erster Stelle.

Heute ist die Volksbank eG Delmenhorst Schierbrok eine mittelständische Bank mit vier Filialen und sieben Geldautomatenstandorten in der Region. Fast die Hälfte der rund 23.000 Privat und Firmenkunden sind Mitglieder der Genossenschaftsbank und bestimmen damit ihren Kurs demokratisch mit. Auf diese Weise ist die Volksbank eine der größten Personenvereinigungen in Delmenhorst und Umgebung.